Bettina Steinacher
Liebe Bettina, du bist seit vielen Jahren bab-Beraterin und hast Unternehmen zu Themen wie Vereinbarkeit und Gesundheitsförderung begleitet. Aktuell berätst du im Programm „100 Prozent – Gleichstellung zahlt sich aus“. Diese Themen zahlen auch auf soziale Nachhaltigkeit ein. Was verstehst du persönlich darunter?
Bettina Steinacher: Für mich bedeutet soziale Nachhaltigkeit, mit Herz zu führen. Menschen sollen sich am Arbeitsplatz genauso behandelt fühlen, wie ich es selbst erwarten würde: respektvoll, fair und wertschätzend. Es geht um Gerechtigkeit und um das ehrliche Anerkennen von Leistung. Menschen wollen gesehen und ernst genommen werden – das ist der Kern sozialer Nachhaltigkeit.
Ist soziale Nachhaltigkeit überhaupt ein Thema für Klein- und Mittelbetriebe? Und was bewegt sie, sich damit zu beschäftigen?
Bettina Steinacher: Viele Betriebe leben bereits soziale Nachhaltigkeit – auch wenn sie es nicht so nennen. Im Vordergrund steht oft das Ziel, Mitarbeitende zu binden und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und Mitarbeitende zu binden. Erst wenn formelle Berichtspflichten, etwa im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung, hinzukommen, wird das Thema bewusster wahrgenommen. Die wahre Motivation bleibt aber meistens: Die Menschen sollen gerne im Betrieb arbeiten und damit im Unternehmen bleiben.
Woran erkennst du, dass ein Betrieb sozial nachhaltig wirtschaftet?
Bettina Steinacher: Zentral ist für mich, wie und was im Betrieb kommuniziert wird: Gibt es Transparenz? Wird offen über Entscheidungen gesprochen? Transparenz zeigt Mitarbeitenden, dass sie dem Unternehmen vertrauen können, dass Fairness gelebt wird – etwa im Umgang mit unterschiedlichen Personengruppen oder bei Arbeitsbedingungen. Transparenz ist oft der erste Schritt, auf den weitere Maßnahmen folgen, etwa in der Personalentwicklung oder im Umgang mit Vielfalt. Aber soziale Nachhaltigkeit geht darüber hinaus: Ein Betrieb, der nachhaltig denkt, achtet auch auf faire Arbeitsbedingungen bei Zulieferern. Und viele engagieren sich zusätzlich gesellschaftlich: sei es durch Spendenaktionen, Kooperationen mit sozialen Organisationen oder dadurch, dass Erlöse von Produkten teilweise gemeinnützigen Zwecken zugutekommen.
Was bringt es Unternehmen konkret, wenn sie sich für soziale Nachhaltigkeit einsetzen?
Bettina Steinacher: Natürlich gibt es Betriebe, die nachhaltige Maßnahmen in erster Linie wegen gesetzlicher Vorgaben umsetzen. Aber viele meiner Beratungskund*innen sehen darin wirklich eine Chance: Sie wollen Arbeitsbedingungen aktiv verbessern und ihre Organisation fit für die Zukunft machen. Unternehmen, die soziale Nachhaltigkeit ernst nehmen, entwickeln sich nicht nur organisatorisch weiter, sondern gewinnen auch im Wettbewerb um Talente. Gerade heute suchen Menschen Sinn in ihrer Arbeit und möchten sich mit dem Unternehmen identifizieren. Das verlangt Mut zur Veränderung, Offenheit gegenüber Neuem und die Bereitschaft, Zeit in die Weiterentwicklung zu investieren. Auf lange Sicht profitieren diese Unternehmen durch höhere Mitarbeiterbindung, bessere Kooperationen und eine starke Arbeitgebermarke.
Welche typischen Herausforderungen begegnen KMU auf dem Weg zur sozialen Nachhaltigkeit?
Bettina Steinacher: Der größte Hebel – und zugleich die größte Herausforderung – ist der kulturelle Wandel. Soziale Nachhaltigkeit bedeutet, Werte wie Fairness, Transparenz und Beteiligung tatsächlich in den Arbeitsalltag zu integrieren. Gerade kleinere Betriebe sind oft flexibler und können schneller reagieren, wenn die Geschäftsleitung hinter dem Thema steht. Schwieriger wird es in größeren Betrieben: Dort braucht es gezielte Strategien, um Führungskräfte einzubinden und Veränderungen erfolgreich umzusetzen – zum Beispiel bei der Einführung eines transparenten Gehaltssystems. Solche Projekte dauern, aber sie zahlen sich aus: Sie stärken die Unternehmenskultur und unterstützen die Organisationsentwicklung nachhaltig.
Hast du Good-Practice-Beispiele aus deiner Beratungspraxis, die du teilen möchtest?
Bettina Steinacher: Ja, einige. Besonders spannend finde ich ein Beispiel aus dem ländlichen Raum: Ein Großbetrieb hat in der Pandemie viel für seine Mitarbeitenden getan – etwa durch flexible Arbeitsmodelle und Investitionen in moderne Arbeitsplätze. Die Folge: geringere Fluktuation, eine stärkere Identifikation der Beschäftigten und sogar Rückkehrer*innen, die sagen: „Hier wird wirklich auf uns geschaut.“ Ein anderes Beispiel ist ein kleiner Tapeziererbetrieb: Hier sind Mitarbeitende schon jahrzehntelang beschäftigt, weil das Betriebsklima von Fairness, Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung geprägt ist. Wenn jemand in eine private Notlage gerät, helfen die Kolleg*innen selbstverständlich aus. Dieses soziale Miteinander schafft eine Loyalität, die unbezahlbar ist – und macht das Unternehmen zu einem besonderen Arbeitsplatz.